Mühlenrad

 


Die Reichwaldsche Wassermühle
 

Siegel der Familie Reichwald

Die erste Nennung von Mühlen im Dorf erfolgte in einem Lehnsbrief am 11.1.1472.
Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg belehnte den Werner und Gebhard von Alvensleben auf Gardelegen mit dem Dorf WIEPKE:

... mit aller tobehorige hogest und sidest, geistlick und wertlick, darto de mollen...

Sicher nachzuweisen ist die bis heute bestehende Wassermühle am oberen Bachlauf seit 1693. Der Namen des Eigentümers und seiner Frau sind in schöner Schrift am Einlaufbauwerk des Sandsteingerinnes eingemeiüelt:

ANNA REINICKENMJOHANN JOCHIMGERCKE ANNO 1693

In den Kirchenbüchern von 1688 wird diese Wassermühle als Baum-Mühle bezeichnet. Einlauf Meister Gercke war zu damaliger Zeit Kirchenältester und hatte mit seiner Frau Anna acht Kinder.
Das Mühlengehöft besteht aus einer geschlossenen Hofanlage mit Gebäuden aus dem 17. - 20. Jahrhundert. Wohnhaus (1722) und Mühle (ca. 1680) wurden aus Eichenfachwerk errichtet und zwischen 1988 und 1996 grundhaft rekonstruiert. Die Scheune (1874) ist der gröüte Lehmstampfbau der Region Die Wassermühle steht seit 1978 unter Denkmalschutz. 1997 wurde das gesamte Gehöft mit allen Bauten Bestandteil der Denkmalliste des Landes Sachsen-Anhalt.

Betritt man die alte Reichwaldsche Wassermühle, so fühlt man sich wie in eine vergangene Welt versetzt. Der halbdunkle Mühlenraum wirkt im ersten Moment etwas unheimlich, aber angenehme Kühle in heisser Sommerzeit und das Rauschen der Beeke haben eine beruhigende Wirkung. Erst wenn das Licht angeht, der Blick auf die alte Technik frei ist und das Knarren und Rumpeln der Räder zugeordnet werden kann, löst sich die Spannung. Es hat in den vergangenen einhundertfünfzig Jahren kaum technische Veränderungen im Inneren der Wassermühle gegeben. Große gusseiserne Stirn-, Kegel- und hölzerne Antriebsräder dominieren im Radkeller und werden von einem oberschlächtigen Wasserrad angetrieben, dass 1996, wie auch die Eichenholzantriebswelle, neu gebaut wurden . Trotz einfacher Gleitlagerung aus Stein, Messing und Holz drehen sich Wellen und Kammräder problemlos.
Stark dimensionierte Eichenhölzer tragen den Steinboden, auf dem drei Mahl-/Schrotgänge aus Sand-/Quarzitmühlsteinen unter hölzernen Bütten angeordnet sind. 1890 erfolgte hier auch der Einbau eines Wetzig-Walzenstuhles. Ein Schrotgang wurde 1997 wieder in Funktion gesetzt, gemäss dem frühen Technikstand mit hölzernem Halslager.
Im Dachgeschoss sind der Sackaufzug, die Transmissionswellen, ein Sechskantsichter und der Mehlbunker angeordnet. Im Spitzboden befinden sich Reinigung und Vorsichter. Elevatoren verbinden die einzelnen Ebenen. Die technische Ausstattung ist überwiegend mehr als einhundert Jahre alt.

Der letzte Müller Richard Reichwald Richard Reichwald ging Anfang der sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in den Ruhestand und die Stilllegung der Wassermühle war nicht aufzuhalten. Auch deshalb, weil der technische Entwicklungsstand ein effektives Mahlen von Getreide nicht mehr zuließ, zumal die Wassermenge in der Beeke stetig abnahm. Außerdem fehlten die Aufträge, denn die Landbevölkerung produzierte durch die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft kein Getreide mehr für den eigenen Bedarf. Ein Interesse an der Ãœbernahme des kleinen Betriebes durch einen anderen Müller bestand nicht.
Damit schien das Schicksal der Mühle besiegelt zu sein. Verfall und Abriss drohten der Mühle.
1986, nachdem die Witwe des letzten Müllers gestorben war, kaufte ich das Mühlengrundstück mit dem Ziel, ein altes technisches Denkmal zu erhalten und hier mit meiner Familie zu wohnen.
Die Rekonstruktionsarbeiten des gesamten Grundstückes begann 1987 mit den für die DDR-Wirtschaft typischen Problemen: kein Material, keine Handwerker. Mit viel Enthusiasmus wurden mit Familienangehörigen, Freunden und Bekannten Baumaterialien aus abbruchreifen Gebäuden geborgen und aufgearbeitet. Erst später sollte sich erweisen, dass diese Arbeiten auch aus der Not heraus denkmalgerecht erfolgten und zwangsläufig alte Handwerkstechniken erlernt und ausgeführt wurden. Beispielhaft gut war die Zusammenarbeit und die Unterstützung mit dem damaligen Rat des Kreises Gardelegen, Abteilung Kultur. Nach der Wende kamen ungeahnte Möglichkeiten über die Niedersachsenhilfe des benachbarten Bundeslandes, dem Amt für Landwirtschaft und Flurneuordnung des Landes Sachsen-Anhalt, Auüenstelle Salzwedel, und der Unteren Denkmalbehörde des Altmarkkreises Salzwedel, die letztendlich dazu führten, dass die Wassermühle erhalten blieb.
Die Arbeiten fanden ihre Höhepunkte ab 1988 mit der Rekonstruktion des Sandsteingerinnes, des Wohnhauses und Mühlengebäudes und 1996 mit dem Bau der Wasserrradwelle und des Wasserrrades. Auch wenn es immer noch viel in der Mühle zu tun gibt: die Wiepker Beeke treibt wieder einen Schrotgang an!
Der heutige Betrieb beschränkt sich auf die Demonstration des Mahlprozesses in einer technischen Schauanlage. Lageplan Da die vorhandene Wassermenge, bedingt durch ein vor über 70 Jahren im Oberlauf angelegtes Wasserwerk, keinen effektiven Antrieb mehr für die Mühle zuläßt, mußte im Dachgeschoss ein Elektromotor als zusätzliche Kraftquelle installiert werden.
Schulklassen, Radwanderer, Mühlenfreunde und alle die, die sich für das entbehrungsreiche Leben auf dem Lande zur Zeit der Ur-Großeltern interessieren, sind heute unsere Gäste.

Friedrich-Wilhelm Gille

 
 
 
 
 
   
  
 

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